„Vorsicht“, ruft Orgelbauer Lukas Kurpas seinem Mitarbeiter zu, der eine große Orgelpfeife behutsam über eine kleine Leiter nach unten reicht. Kurpas nimmt sie in Empfang und trägt sie in eine Ecke der Bodelschwingh-Kirche, in der schon dutzende Orgelpfeifen aller Größen stehen. Das Team aus Kattowitz arbeitet schnell, denn der Lastwagen für den Transport der Kirchenorgel nach Polen wartet bereits. „Wir sind froh, dass wir unsere Orgel an die Kattowitzer Musikhochschule verkaufen konnten“, sagt Pastor Gerd Peter. „Dort wird sie im Studentenunterricht eingesetzt und damit lebt auch ein Stück unserer Kirche weiter.“
Seit Anfang November verpackt die Gemeinde Ledeburg-Stöcken ihr Hab und Gut in rund 120 Möbelkartons. Am 26. Dezember, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, wird Hannovers Regionalbischöfin Petra Bahr die Bodelschwingh-Kirche in einem feierlichen Gottesdienst entwidmen. Dann sind knapp 60 Jahre Kirche im Stadtteil Ledeburg Geschichte, denn ab 1. Januar übernimmt ein hannoversches Bauunternehmen das Gelände und die Gebäude. Die Kirche wird abgerissen, an ihrer Stelle sollen dann Wohnungen errichtet werden. „Natürlich ist es gut, wenn dringend benötigter Wohnraum geschaffen wird“, sagt Pastor Peter. „Trotzdem ist es für die Gemeinde ein schmerzlicher Abschied. Viele alteingesessene Ledeburger sind mit der Bodelschwingh-Kirche groß geworden und werden ihr fröhliches, helles Geläut im Stadtteil vermissen.“ Auf ein neues Kirchengebäude muss die Gemeinde noch warten. Geplant wird ein modernes Kirchenzentrum auf dem Gelände der ehemaligen Corvinuskirche an der Stöckener Moorhoffstraße, die ihrerseits bereits 2012 entwidmet und in den vergangenen Monaten abgerissen worden war. Zuletzt war Anfang Dezember noch der Turm der Corvinuskirche gesprengt worden.
„Unsere Gemeinde musste seit ihrer Fusion im Jahr 2006 wirklich einige Herausforderungen bestehen“, sagt Pastor Peter. „Der Abschied von zwei Kirchen, der Entschluss zum Neubau, viele, auch kontroverse Diskussionen und rund 15 Jahre kirchliches Leben in der eigentlich nur als kurze Zwischenlösung gedachten Bodelschwingh-Kirche.“ Bis die Gemeinde in ihre neue Kirche einziehen kann, wird sie ihre Gottesdienste im Stadtteilzentrum Stöcken und auf öffentlichen Plätzen feiern. Auf dem Gelände der ehemaligen Corvinuskirche steht ab März ein Bauwagen. Darin bieten der Diakon und die Kirchenkreissozialarbeiterin Flüchtlings- und Sozialberatung an, Pastor Peter und Pastorin Annette Charbonnier werden mit einer Informations- und Anlaufstelle präsent sein. Der Chor und die Theatergruppe der Gemeinde proben im Stadtteilzentrum, die Konfirmanden und einige Kirchengruppen nutzen die Räume der benachbarten Herrenhäuser und Zachäus-Kirche. Auch das Gemeindebüro zieht vorübergehend in die Zachäus-Kirche.
„Diese Situation einer wandernden und mit dem Stadtteil kooperierenden Kirche ist auch eine Chance“, betont der Pastor. „Wie alle anderen hannoverschen Kirchengemeinden auch, werden wir aufgrund der sinkenden Mitgliederzahlen neue Kooperationen untereinander und auch mit nichtkirchlichen Partnern entwickeln müssen. Das kann uns als Kirche neue und sehr kreative Impulse geben.“
Der Entwidmungsgottesdienst am 26. Dezember beginnt um 18 Uhr. Neben der Regionalbischöfin sind auch Pastorin Charbonnier, Pastor Peter und weitere Mitwirkende beteiligt. Der Gottesdienst wird von Instrumentalisten musikalisch gestaltet und mit einer feierlichen Prozession beendet. Dabei trägt die Gemeinde ihr Abendmahlsgerät, ihre Taufschale und die Altarbibel in einem Zug aus der Kirche. „Und alle Teilnehmenden des Gottesdienstes werden zuletzt ihren Stuhl mit hinaustragen“, fügt Pastor Peter mit einem kleinen Lächeln hinzu. „Denn es ist abgemacht, dass wir die Kirche komplett leer übergeben.“
Öffentlichkeitsarbeit Stadtkirchenverband - Sabine Dörfel