Ballhof Hannover

Regionalbischöfin Bahr im Homeoffice

Nachricht 06. April 2020

Interview über die Herausforderungen in der Corona-Pandemie

Regionalbischöfin Dr. Petra Bahr im Homeoffice.

Regionalbischöfin Petra Bahr arbeitet derzeit im Homeoffice. Wie geht es ihr, welche Herausforderungen gibt es und was rät sie den Menschen, die derzeit allein zurechtkommen müssen? Darüber sprach sie im Interview mit unserer Autorin Ingrid Hilgers.

Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie? Kommen Sie gut miteinander klar, oder gibt es ab und zu kleinere Reibereien? Petra Bahr: Auch vor der Pandemie gab es kleinere Reibereien, wie das in Familien üblich ist. Vor allem für ein Kind ist das keine einfache Situation. Die Eltern sind zu Hause, hängen ununterbrochen am Telefon oder in Videokonferenzen, Freunde und Großeltern sind unerreichbar. Unser Sohn ist alt genug, um zu verstehen, was da passiert ist. Er soll aber auch Freude haben, die Schulfreiheit genießen, kuscheln, rumblödeln, während seine Eltern oft sehr ernste Gespräche führen. Eine tägliche Gratwanderung. Trotzdem sind wir sehr dankbar. Es geht uns viel besser als denen, die mit vier Kindern in engen Wohnungen ohne Balkon ausharren, die alleinerziehend sind und Existenzängste haben. Auch Freunde stehen plötzlich vor dem Nichts, weil ihre Unternehmen schließen mussten.

Wie erklären Sie Ihrem Sohn die Situation?
Kinder brauchen Ehrlichkeit. Wir erklären ihm altersgemäß, was gerade passiert. Er bekommt auch Gesprächsfetzen mit, die eigentlich nichts für Zwölfjährige sind. In Pfarrhäusern sind Krankheit und Tod für Kinder kein Tabu. Da hilft nur viel Zeit, auch Ablenkung. Wir machen viel Musik, gucken mal zusammen einen Film, essen dreimal am Tag zusammen. Das liebt er, weil er es noch nie hatte.
Sie arbeiten im Homeoffice, was vermissen Sie?

Ich finde es hilfreich, Arbeit und andere Zeiten auch räumlich zu trennen. Das ist eine schwere Übung für mich. Ich vermisse es, Menschen, die ich liebe, zu umarmen. Ich vermisse gesellige Abendessen im Wohnzimmer. Ich vermisse laute, volle Gottesdienste mit Kindergewusel und viel Musik. Ich vermisse sogar die, die mir vor vier Wochen noch auf die Neven gegangen sind. Ich hasse es, Menschen, die am Telefon weinen, nicht berühren zu können. Ich nutze die neuen Medien schon lange. Aber wir brauchen die Berührung der Haut, den Geruch der anderen, die Gesichtszüge, die Spur der Ironie. Das gemeinsame Schweigen.

Wie halten Sie sich fit?
Für die körperliche Fitness mache ich Yoga und gehe in den Wald, an den Randstunden des Tages, wenn nur sehr wenige Menschen unterwegs sind. Das tut mir gut. Und wenn man den Kopf in den Nacken legt, sieht man fast eine Kathedrale.

Haben Sie einen Tipp für Menschen, die sich einsam fühlen ?
Für die Alleinlebenden sind diese Wochen schrecklich. Nachbarn können aufeinander achten. Kleine Gesten über den Balkon helfen. Die Telefonseelsorge und die Chatseelsorge sind sehr präsent. Sorgen machen mir die, die hinter Mauern verschwinden. Das sind nicht nur Ältere, sondern auch Frauen, die Gewalt erleben und Kinder, um die sich niemand kümmert.


Was glauben Sie, hat das Virus auch etwas Positives? Bietet diese Situation Chancen?
„Krise als Chance“? Ich kann mit diesem Satz nichts anfangen. Nach der Krise können wir individuell, als Kirche, als Gesellschaft, vielleicht sogar als Weltgesellschaft überlegen: Was habe ich gelernt? Ich merke, wie sehr Gemeinsinn, das Denken und Leben für andere, plötzlich essenziell wird. Ich hoffe, dass wir in der Kirche davon wegkommen, unsere Bedeutsamkeit zu stark aus Veranstaltungen abzuleiten. Ich bin sicher, dass Sitzungen in Zukunft kürzer werden, weil alle merken: Es geht.
Wie kann der spezifisch christliche Beitrag zur Krise aussehen?
Öffentliche und vertrauliche Seelsorge suchen und brauchen in diesen Tagen auch Menschen, die lange keinen Gottesdienst besucht haben. Das merke ich. Christen können daran erinnern, dass wir seelisches Wohlergehen brauchen. Die Botschaft von der Gnade Gottes, von seiner Passion für die Menschen in allen Medien verbreiten. Die Kirchen sind geschlossen. Unsere Münder sind es nicht. Ein befreundeter Rabbiner hat es vor ein paar Tagen so ausgedrückt: Auf dem Weg durch diese Wüste nie vergessen, dass uns ein verheißenes Land vor Augen steht. Wir erleben Ostern. Lange war die Botschaft vom Auferstandenen, der dem Tod den grässlichen Triumph nimmt, nicht so unglaublich wie in diesem Jahr. Es ist diese Geschichte, die zu erzählen Christen aufgetragen ist. Gott will das Leben! Während wir davon reden und singen, können wir einander in diese große Hoffnung reinziehen. Außerdem können wir beten.

Das Interview ist in der Evangelischen Zeitung vom 5. April 2020 erschienen. Die Fragen stellte Ingrid Hilgers.

Ingrid Hilgers (Evangelische Zeitung)

Pressesprecher