Ballhof Hannover

"Das Christentum ist der afrikanischen Kultur näher als der europäischen"

Nachricht 07. Juni 2023

Dr. Petra Bahr und Bischof Myaka im Gespräch

Hannover. „Das Museum habe den Auftrag, koloniale Vermächtnisse zur Sprache zu bringen und Spuren und Kontinuitäten sichtbar zu machen.“ Darum sei eine Veranstaltung zum Thema Dekolonisierung im historischen Museum in Hannover gut aufgehoben , so dessen Direktorin Anne Gemeinhardt.

Genau darum ging es bei der vom Ev.-luth.Missionswerk in Niedersachsen (ELM) organisierten  Veranstaltung mit dem Titel „Kirche und koloniale Denkmuster“, die von Dr. Joachim Lüdemann, Referent Globale Kulturelle Vielfalt im ELM, moderiert wurde. Im Gespräch waren an diesem Abend Regionalbischöfin Dr. Petra Bahr und der leitende Bischof der ELCSA (Ev.-luth. Kirche im Südlichen Afrika) Nkosinathi M. Myaka.

Myaka vertrat die Ansicht, dass es in der Debatte um koloniales Erbe darum gehe, Tradiertes in Frage zu stellen: „ Mein jüngster Sohn fragte mich neulich ,War Jesus weiß?‘ Und natürlich war er nicht weiß. Warum stellen die Kunstwerke trotzdem immer einen weißen Jesus dar? Keine Abendmahlszene ohne weißen Jesus!“ „Wir brauchen einen Jesus, der der Wirklichkeit entspricht“, einen realen Jesus“, forderte Myaka. „Das Christentum ist keine europäische Religion. Paulus wird um Hilfe gefragt – komm und hilf uns in Mazedonien – das war die erste europäische Missionsarbeit. Möglicherweise ist das Christentum der afrikanischen Kultur viel näher als der europäischen. Die Kirchenväter kamen aus Asien, Afrika oder der Subsahara.“ Das Christentum sei keine Religion der Mächtigen, Jesus habe sich mit den Marginalisierten solidarisiert, den Frauen, den Sündern, den Schwachen. „Das frühe Christentum hatte wenig zu tun mit Macht. Aber das Christentum ist nach Afrika mit den Mächtigen gekommen, mit dem Kolonialismus und damit mit Ausbeutung und mit Macht.“

Bezogen auf die tatsächliche Missionsarbeit beschrieb Myka die Missionsarbeit im Gebiet der ELCSA: „In meinem Gebiet gab es fünf Missionsgesellschaften, die das Christentum als Kulturprogramm vermittelten, ohne zu wissen, wie die Menschen bei uns dachten und lebten. Sie hatten keine Ahnung von der Lebenspraxis der Leute dort.“ Aber es habe auch Vorzüge der Christianisierung und der in deren Folge entstandenen Missionsschulen gegeben: Die Förderung der Einheimischen zu selbstständigem Denken, aber auch bei deren Freiheitsbemühungen.

Im familiären Umfeld mit Geschichten über Missionare vertraut, ist Regionalbischöfin Dr. Petra Bahr  schon früh ein Gefälle aufgefallen: „Auf der einen Seite waren die, die etwas zu geben und auf der anderen Seite die, die etwas zu nehmen hatten. Das Verhältnis glich immer dem von einem Senior- zu einem Juniorpartner.“ Auf der politischen Bühne sei das Thema „Kolonialisierung“ lange nicht präsent gewesen. Zum einen habe durch die Shoah ein Zivilisationsbruch stattgefunden, der so schrecklich war, dass Kolonialismus nicht so sehr im Vordergrund gestanden habe. Erst mit der Debatte um Wiedergutmachung im Zusammenhang mit dem Völkermord deutscher Kolonialherren an den Herero und Nama seien die Folgen des kolonialen Erbes in den 2000er Jahren und verstärkt seit einigen Jahren wieder in die Öffentlichkeit gerückt. Man diskutiere dort intensiv über die schwierige Frage, wem was zurückgegeben werden solle. Die Diskussion über koloniale Denkmuster bei uns bleibe aber weitgehend außen vor. Und schließlich werde auch die Debatte um die Abschaffung des Missionsbegriffes weitgehend ohne Bezug zum Thema Kolonialismus geführt.

Angesprochen auf die Realität in kirchlichen Partnerschaften, Konferenzen oder alltäglichen Begegnungen, zeigt sich, dass es viele Bereiche gibt, in denen beide Referent*innen Nachholbedarfe sehen. „Es gibt viele Bereiche mit Handlungsbedarf“, stellte Myaka fest, „zum Beispiel, wenn Vermutungen über andere, als Tatsachen hingestellt werden. Muster und Interpretationen werden auf ungewohnte Verhaltensweisen gelegt. Häufig von den Mächtigen auf die weniger Mächtigen. Es gab und gibt die Haltung, dass alles Afrikanische Böse ist, selbst die Art sich zu kleiden. Ein traditioneller Medizinmann hat mir einmal eine Geschichte erzählt: er hatte in der rechten Seite des Jackets ein Tablettenröhrchen und in der linken ein Horn. Bei dem Horn dachten die Zuhörenden an eine gefährliche Substanz, die darin enthalten sein müsse. Allein das Horn reichte, um Angst zu haben.“

Myaka sprach sich eindringlich dafür aus, kulturelle Eigenarten zu akzeptieren, und bei den Leidtragenden des Kolonialismus einen Prozess der „Heilung von Erinnerungen“ (healing of memories) voranzutreiben, zu dem auch gehöre, anzuerkennen, dass es historisch darum ging, Kolonialismus zu überleben. Bahr riet dazu, in interkulturellen Kontexten „Ubuntu“  zu praktizieren. Das Wort Ubuntu kommt aus der Sprache der Zulu und bedeutet in etwa „Leben in Beziehung“. Und so gehe es für sie darum, so Bahr, „Inviduum zu ver-lernen und Gemeinsamkeit zu lernen und sich auf gemeinsame Grundlagen zu verständigen.“

Gefragt nach dem Verhältnis von großen und kleinen kirchlichen Partnern, legte Bahr den Fokus darauf, dass keine Gemeinde zu klein sei, dass sie nichts geben könne und keine zu groß, dass sie nicht lernen könne. Wenn von der lutherischen Kirche als dem großen Partner die Rede sein sollte, gehe es zunächst einmal darum, die Kränkung auszuhalten, dass man im Verhältnis zu den Partnern nicht mehr groß und mächtig und somit womöglich nicht mehr relevant sei. Außerdem gäbe es „niemanden hier im Raum der keine Rassismen hat. Tief sitzend und manchmal unmittelbar hervorbrechend.

In der abschließenden Diskussion wurde die Wichtigkeit der gemeinsamen Bibelarbeit aufgenommen. Myaka beschrieb die Programme der Kwa-Zulu-Natal Universität, bei denen es darum ging, konkret zu lesen und nicht über das zu reden, was man meinte zu wissen. Häufig werde das Gegenüber besser verstanden, wenn diese Texte in den je eigenen Kontext übersetzt würden. Myaga wählte zur Verdeutlichung das Beispiel Weihnachten – ein Fest, das in Deutschland im Winter und in Südafrika im Hochsommer stattfindet. Welche Auswirkungen hat dieser Unterschied auf Textwahrnehmungen und -deutungen? Dass es eine „Predigt des Evangeliums in seiner Reinheit“, wie von Myaka gefordert, nicht geben könne, weil Lektüre immer kontextgebunden sei, kam als Einwand aus dem Publikum aber auch die Einsicht, dass es sinnvoll sein könne, sich die Kontextgebundenheit der eigenen Interpretation bewusst zu machen. Bis wir dahin kommen, dass wir auf die Frage, ob Jesus schwarz oder weiß sei, sagen können „Ich verstehe die Frage nicht“ müsse die Kategorie verlernt werden, wonach weiß gut und schwarz schlecht sei, so Myaka.

 

Öffentlichkeitsarbeit des ELM/Anette Makus

Presse- & Öffentlichkeitsarbeit